1. Leipzig

Max Reger-Fest, Dortmund 1910, offizielle Postkarte. – Max-Reger-Institut, Karlsruhe.
Max Reger-Fest, Dortmund 1910, offizielle Postkarte. – Max-Reger-Institut, Karlsruhe.

                         und Max Reger 1910, aus Elsa Regers Fotoalbum, Max-Reger-Institut, Karlsruhe.
Elsa und Max Reger 1910, aus Elsa Regers Fotoalbum, Max-Reger-Institut, Karlsruhe.

Im Mai wird das erste deutsche Reger-Fest in Dortmund veranstaltet, das in sieben Konzerten einen repräsentativen Überblick über Regers Schaffen bietet. Eingeschworene Reger-Interpreten wie Frieda Kwast-Hodapp, Gertrud Fischer-Maretzki, Henri Marteau und Karl Straube wirken unentgeltlich bzw. zu Minimalhonoraren an diesem für das damalige Musikleben revolutionären Ereignis mit. Das Fest verläuft zu Regers höchster Zufriedenheit und markiert einen Höhepunkt seines Ruhms.

Zugleich veranlasst es jedoch verschiedene Kritiker, darunter den Leipziger Walter Niemann, gegen Regers Eigenpropaganda zu Felde zu ziehen. Reger beginnt mit Niemann einen Rechtsstreit, in dem er zwar siegt, doch letztlich den Kürzeren zieht: Niemann wird zu seinem schärfsten Gegner und bildet mit seinen Leipziger Kollegen eine geschlossene Front gegen den Komponisten.

Auf Konzertreisen dagegen häufen sich die Erfolge; beim Tonkünstlerfest des ADMV in Zürich wird die Uraufführung des Klavierquartetts d-moll op. 113 gefeiert, das wie die übrigen Leipziger Kammermusikwerke nicht mehr so experimentell wie die Münchner Werke, doch äußerst expressiv und bis ins kleinste Detail durchgestaltet ist. Auch der 100. Psalm op. 106 kommt in Zürich unter Volkmar Andreae zu einer glanzvollen Wiedergabe.

Im Oktober wird Reger der medizinische Ehrendoktor der Universität Berlin verliehen. Die Begründung, “daß nichts so sehr geeignet ist, das Gemüt des bedrückten und kranken Menschen zu erheben und aufzuheitern, als die wahre Kunst, und daß insbesondere Max Reger, auf der Kunst der alten Meister fußend, mit reicher Erfindungsgabe sich der Musica sacra e profana gewidmet und sie dem Volke zugänglich gemacht hat”1, gibt Anlass zu manchen Glossen, die in Regers Werken eher Schilderungen von Seelenkrankheiten zu erkennen meinen.

Mit der Uraufführung des Klavierkonzerts f-moll op. 114 am 15. Dezember durch die Widmungsträgerin Frieda Kwast-Hodapp unter Arthur Nikisch im Leipziger Gewandhaus erreicht die Kette der negativen Reaktionen, die mit dem Violinkonzert A-dur op. 101 begonnen hatte, ihren Höhepunkt. Reger sucht Trost im Alkohol und gerät in einen äußerst labilen Seelenzustand, von dem Max Brod anlässlich eines Prager Konzerts vom 20. Dezember 1910 berichtet: “Wir sitzen und trinken. Besonders eifrig trinkt Reger. Daheim überwacht ihn seine Frau, so erzählt er unbefangen; auf Konzertreise fühlt er sich frei. […] Aus dionysischen Freuden verfällt er in bitteres Schluchzen. Die Arme liegen auf dem Tisch, das rote Gesicht tränenüberströmt auf den Armen. „Meine arme Mutter. O Gott, meine Mutter. Sie ist im Irrenhaus.“ […] Am nächsten Tag […] zeigten [wir] ihm die Prager Burg. Jetzt war er ernst und großartig. Nie wieder habe ich so stark das Gefühl gehabt, daß um eine geniale Person die elektrischen Funken wirbelnd toll zur Erde knistern. […] Am Abend […] wurde mir die Ehre zuteil, den Halbgott ins Konzert zu lotsen. […] Reger saß in seinem Zimmer bei Cognac, er war nicht mehr in schlichtmenschlichen Regionen. […] Nun, das wird ja heute abend im Konzert schön werden, dachte ich herzensbekümmert. Und dann, im großen Saal, spielte Reger mit einer Zartheit, einer gottergriffenen Innigkeit, einer Feinheit und Präzision, wie ich zeitlebens nie wieder Klavier spielen gehört habe.”2


1
Zitiert nach Peters-Briefe, S. 423, Fußnote 1.
2
Max Brod, Streitbares Leben. 1884–1968, überarbeitete und erweiterte Neuausgabe, München und Berlin 1969, S. 257–258.

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Reference

Max Reger Biography – 1910, in: Max-Reger-Portal, www.maxreger.info/biography/1910, Max Reger Biography Data, V. 3.0, last check: 24th March 2023.